Schreibarten im Umbruch. Stildiskurse im 18. Jahrhundert
Ausgangspunkt der Tagung ist die Beobachtung, dass sich im Nachdenken über Schreibweisen und Schreibarten im 18. Jahrhundert eine Neujustierung der Stilkategorie abzeichnet. Um 1750 wird der Stil aus dem rhetorischen System herausgelöst und zu einem vieldeutigen Konzept ausgebaut. Hatte man zuvor schematisch genus sublime, genus mediocre und genus humile unterschieden, identifiziert man nun naive und scherzhafte (frz. naïf, gracieux), launische (engl. humour) und kräftige Schreibarten, die zum Gegenstand ästhetischer Reflexion werden. So vollzieht sich eine Pluralisierung, Historisierung und Individualisierung des Stils, die ihm neue literatur- und kulturtheoretische Anwendungsbereiche eröffnet. In gesellschaftstheoretischen Diskursen wird er zum Beispiel als sprachlicher Index für politische und kulturelle Gemeinschaft diskutiert. Damit in Verbindung steht ein wachsendes Bewusstsein für den Eigensinn von Sprachen, das sich in der Übersetzungsreflexion niederschlägt. Am Stil werden Probleme der Übertragung verhandelt, die auch für den Austausch zwischen medialen Formationen relevant werden (z.B. Text/Musik, Mündlichkeit/Schriftlichkeit). Diese Bewegungen zwischen Sprachen, Literaturen, Medien und semantischen Feldern erschließt die Tagung, indem sie europäische Vergleichshorizonte eröffnet und Literatur- mit Sprachwissenschaft verbindet.
Die Veranstaltung wird gefördert mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).
Abb. oben: Johann Michael Schirmer: Geöfnete Schreib-Schule oder Deutsche, Lateinische und Französische, Vorschriften, Frankfurt a.M., um 1760. Scan aus dem Band DD94 A 58 der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (SUB).
Programm
Mittwoch, 6.10.2021
13.00–13.30
- Eva Geulen (Direktorin ZfL): Grußwort
- Eva Axer, Annika Hildebrandt, Kathrin Wittler: Begrüßung und Einführung
Stildiskurse, Stilvergleiche
13.30–15.00
- Michael Gamper (Freie Universität Berlin): Stilübertragungen. Prosabildung als Stilkomparatistik in Herders frühen Schriften
- Dietmar Till (Universität Tübingen): Hugh Blairs Stilanalysen und das Konzept der belletristic rhetoric
Theorie und Poetik des Stils
15.30–16.30
LEKTÜRE-WORKSHOPS (nichtöffentlich):
- Sina Dell’Anno/Emmanuel Heman (Universität Basel): »der Styl des Sokrates«: Johann Georg Hamanns monströse Schreibart zwischen Zitationismus und Individualität
- Roland Spalinger (Universität Bern): Stil der ästhetischen Erkenntnis. Johann Georg Sulzer
Stil und Gattungspoetik
17.00–17.45
- Karin Kukkonen (Universität Oslo): Die Wahrnehmung des Inneren: Stil in der Romanpoetik
Donnerstag, 7.10.2021
Tonqualitäten und Medientransfer
9.00–10.30
- Yael Sela Teichler (The Open University of Israel): Found in Translation: Moses Mendelssohn and the Discourse of Biblical Poetry
- Elisa Ronzheimer (Universität Bielefeld): Ton und Stil. Überlegungen zu einer intermedialen Schnittstelle im Stildiskurs des 18. Jahrhunderts
Stilqualitäten und Stilprinzipien
11.00–12.30
- Cornelia Zumbusch (Universität Hamburg): Mit Nachdruck. Zur emphasis als Figur und Schreibart
- Caroline Torra-Mattenklott (Universität Aachen): Reichtum an Worten und Lakonie des Ausdrucks. Zur Theorie des körnigen Stils
Individualisierung des Stils?
14.00–15.30
- Dirk Oschmann (Universität Leipzig): Natürliche Ordnung? Lichtenbergs Sprachreflexionen zwischen »Nomenklatur« und »Stil«
- Kira Louisa Künstler (Freie Universität Berlin): »Kennt kein Gesetz als jedes Augenblicks Laune«? Christoph Martin Wielands Versepos Der neue Amadis (1771)
Individualstil und Stilwandel
16.00–16.45
- Jan Oliver Jost-Fritz (East Tennessee State University): Stil und energeia. Stilimplikationen der Kürze zwischen Rhetorik und Ästhetik
Freitag, 8.10.2021
Stil im Kulturtransfer I
9.00–10.30
- Valérie Leyh (Université de Namur): Goût, manière und esprit. Jean-François Marmontels Ansichten zum Stil und ihre Rezeption im deutschsprachigen Raum
- Lore Knapp (Universität Bielefeld): Empirismus und Stil. Zur Rezeption britischer Schriften um 1750
Stil im Kulturtransfer II
11.00–12.30
- Anja Voeste (Universität Gießen): Beispiel und Regel. Ein Blick in zweisprachige Wörterbücher des 18. Jahrhunderts
- Abschlussdiskussion