Das ZfL

Forschungsprofil

Das Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung ist ein geisteswissenschaftliches Institut für die Erforschung von Literatur in interdisziplinären Zusammenhängen und unter kulturwissenschaftlichen Voraussetzungen. Damit schließt es auch methodisch an den Strukturwandel der historisch-hermeneutischen Fächer in den vergangenen Jahrzehnten an. Im Unterschied zu den überwiegend nationalphilologisch organisierten Literaturwissenschaften an den Universitäten hat das ZfL nicht nur einen weiten Begriff von Literatur, sondern fragt in Gestalt interdisziplinärer Grundlagenforschung nach der Genese verschiedener Literaturkonzepte, ihren künftigen Möglichkeiten sowie nach dem Verhältnis von Literatur und anderen Künsten oder kulturellen Praktiken. Literatur ist dabei in allen Bereichen Gegenstand der Forschung, eröffnet aber auch Zugänge zu anderen Wissensfeldern und Erkenntnisformen. Dadurch werden neue Fragestellungen erschlossen, die aus der Perspektive einzelner Disziplinen herausfallen oder in ihnen nicht formulierbar sind. Die Forschung des ZfL orientiert sich an aktuell drängenden Fragen der Gegenwart, die in größere historische Zusammenhänge gerückt werden. Als relativ kleines unabhängiges Institut versteht sich das ZfL als Impulsgeber für nationale und internationale Forschungszusammenhänge, aber auch als kritischer Beobachter einer sich wandelnden Wissenschaftslandschaft.

Die Programmbereiche

Die Programmbereiche Theoriegeschichte, Weltliteratur und Lebenswissen bilden einen Gesamtzusammenhang mit unterschiedlichen Akzentsetzungen. Ihre namengebenden Begriffe Theorie, (Welt-)Literatur und Leben gibt es seit der Antike. Aber im 18. Jahrhundert werden sie einer bis in die Gegenwart ausstrahlenden Umdeutung unterzogen, sie beziehen sich nun auch häufig aufeinander und werden auf unterschiedliche Weise miteinander in Verbindung gebracht. So entsteht beispielsweise mit dem Roman in dieser Zeit eine literarische Form, die ein einzelnes Leben darzustellen zum Ziel hat und die deshalb eine eigene Theorie erfordert und ermöglicht. In wechselnden Konstellationen bestimmen diese drei Begriffe den Diskurs der Geistes- und Kulturwissenschaften bis heute. Deshalb bilden sie den übergreifenden Gesamtrahmen für die interdisziplinäre Erforschung alternativer Genealogien der Moderne.

Geschichte

Das ZfL besteht in Trägerschaft der Geisteswissenschaftlichen Zentren Berlin e.V. (GWZ) seit 1996. Gründungsdirektor war der Literaturwissenschaftler Eberhard Lämmert (†2015). Vorangegangen war eine vierjährige Übergangsphase innerhalb der Förderungsgesellschaft Wissenschaftlicher Neuvorhaben mbH, die 1992 von der Max-Planck-Gesellschaft eingerichtet worden war, um die geisteswissenschaftliche Forschung der Akademie der Wissenschaften der DDR – darunter auch die des Zentralinstituts für Literaturgeschichte (ZIL) – in neue Institutionen zu überführen. Ehemalige ZIL-Mitarbeiter haben die Arbeit des ZfL entscheidend mitgeprägt. Zu den Projekten, die den Zeitenwechsel überdauert haben und in denen dieser auch einen Ausdruck fand, gehört das bereits seit den 1980er Jahren konzipierte, aber erst 2000 bis 2005 in sieben Bänden erschienene historische Wörterbuch Ästhetische Grundbegriffe. Federführender Herausgeber dieses Projekts war der frühere ZIL-Bereichsleiter und langjährige ZfL-Ko-Direktor Karlheinz Barck (†2012). Seit 2017 vergibt das ZfL ihm zu Ehren den Carlo-Barck-Preis, mit dem eine Dissertation auf dem Gebiet der Literatur- und Kulturwissenschaften ausgezeichnet wird, die durch innovative Fragestellung und originelle Anlage besticht. Begriffsgeschichtlichen Verfahren und begriffsgeschichtlicher Forschung ist das ZfL bis heute verpflichtet.

Auch nach dem Wechsel der Direktion zu Sigrid Weigel im Jahr 1999 blieb das ZfL zunächst auf kurzfristige Fördermittel (vor allem seitens der Deutschen Forschungsgemeinschaft) angewiesen. Nach einer Evaluierung durch den Wissenschaftsrat im Jahr 2006 wurde das ZfL – ebenso wie die Partnerinstitute innerhalb der GWZ, das Leibniz-Zentrum Allgemeine Sprachwissenschaft (ZAS) und das Leibniz-Zentrum Moderner Orient (ZMO) – von 2008 bis 2019 hauptsächlich durch eine Programmförderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung finanziert. Hinzu kam eine Grundausstattung durch das Land Berlin sowie selbständig eingeworbene Drittmittel anderer Förderinstitutionen. In dieser Zeit hat sich das ZfL zu einem weltweit anerkannten Zentrum für innovative Kulturforschung mit besonderem Interesse an den Leitfiguren der ›Ersten Kulturwissenschaft‹ (Aby Warburg, Sigmund Freud, Walter Benjamin) und am kulturellen Nachleben vormoderner Konzepte und Traditionen entwickelt. Profilbildend wirkt vor allem sein interdisziplinärer und historisch gesättigter Forschungsansatz im Ausgang von aktuellen Fragestellungen. Dieser doppelten Programmatik der Interdisziplinarität und des Aktualitätsbezugs bleibt das ZfL, das seit 1. Januar 2019 Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft ist, auch weiterhin treu.

Weder im In- noch im Ausland existiert ein Forschungsinstitut, das sich jenseits des überlieferten Fächerkanons und im engen Kontakt mit anderen Disziplinen dem weitläufigen Feld der Literatur widmet. Die Konzentration auf dieses Alleinstellungsmerkmal und sein enormes Potential ist in den Vordergrund gerückt, seit Eva Geulen im August 2015 das Amt der Direktorin übernommen hat. Was Literatur bedeutet und was ihre Erforschung leisten kann, ist nach Jahrzehnten der gewiss auch bereichernden Gegenstandserweiterungen, der Überforderung wie der Unterforderung der Literaturwissenschaften durch rasch wechselnde ›turns‹ überhaupt erst einmal wieder neu zu fragen.

Abb. oben: © Dominik Flügel