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Negative Anthropologie. Geschichte und Potential einer Diskursfigur
Es gehört zur paradoxen Situation der gegenwärtigen Geisteswissenschaften, dass in den Humanities nichts so sehr umstritten ist wie der Status des Humanen selbst. Während der Posthumanismus das poststrukturalistische Leitmotiv des Anti-Essentialismus zum Programmpunkt erhebt, hat sich seit einigen Jahren unter dem Stichwort des Anthropozän ein Forschungsparadigma etabliert, das gerade die geologisch relevanten Interventionen des Anthropos zum Hauptthema macht. Damit ist gleichermaßen ein Ver- und ein Gebot formuliert, den Menschen zu bestimmen.
Zwischen diesen beiden Polen verspricht eine vor allem in Deutschland wirkmächtige Denktradition des 20. Jahrhunderts vermitteln zu können. In verschiedener Form ist dort immer wieder der Versuch unternommen worden, eine ›negative Anthropologie‹ zu formulieren. Idealtypisch ist damit ein Denken gemeint, das einer starken Definition des Menschen aus dem Weg geht und ihn trotzdem weiterhin zum Gegenstand macht.
Ziel dieses Forschungsprojekts war eine normative Rekonstruktion negativer Anthropologie als Diskursfigur. Dabei war erstens die Verschlingung von Traditionen nachzuvollziehen, die sich zwischen der philosophischen Anthropologie als Schultradition, der Kritischen Theorie und dem Existentialismus ergeben und zweitens ihr systematisch normativer Kern zu rekonstruieren. Schließlich wurde die Anwendbarkeit dieses Paradigmas beispielhaft auf den Feldern der Politischen Theorie und der Literaturwissenschaft erprobt.
Abb. oben: »Non vitruvian man«. Collage von Hannes Bajohr/Timo Schröder auf Grundlage von Leonardo da Vinci: L’Uomo Vitruviano, Quelle: Wikimedia
Publikationen
Negative Anthropologie
Ideengeschichte und Systematik einer unausgeschöpften Denkfigur
Edited, translated, and with an introduction by Hannes Bajohr, Florian Fuchs, and Joe Paul Kroll
History, Metaphors, Fables
A Hans Blumenberg Reader
Der Anthropos im Anthropozän
Die Wiederkehr des Menschen im Moment seiner vermeintlich endgültigen Verabschiedung
Judith N. Shklar: Verpflichtung, Loyalität, Exil
Themenheft zur politischen Theorie von Judith N. Shklar
Weitere Publikationen von Hannes Bajohr
- Carl Schmitt; Hans Jonas, in: Oliver Müller, Rüdiger Zill (Hg.): Hans-Blumenberg-Handbuch. Stuttgart: Metzler 2024 (im Erscheinen)
- Hg.: New German Critique 49.1 (2022), Sonderheft: Hans Blumenberg at 101
- Einleitung, in: Hannes Bajohr, Sebastian Edinger (Hg.): Negative Anthropologie. Ideengeschichte und Systematik einer unausgeschöpften Denkfigur. Berlin/Boston: de Gruyter 2021, 1–4 (mit Sebastian Edinger)
- Negative Anthropologie, in: Hannes Bajohr, Sebastian Edinger (Hg.): Negative Anthropologie. Ideengeschichte und Systematik einer unausgeschöpften Denkfigur. Berlin/Boston: de Gruyter 2021, 7–42
- Hg.: Judith N. Shklar: Über Hannah Arendt. Berlin: Matthes & Seitz 2020, darin: Arendt-Korrekturen. Judith Shklars Kritik an Hannah Arendt
- Keine Quallen. Anthropozän und negative Anthropologie. Einleitung zu »Der Anthropos im Anthropozän«, in: Hannes Bajohr (Hg.): Der Anthropos im Anthropozän. Die Wiederkehr des Menschen im Moment seiner vermeintlich endgültigen Verabschiedung. Berlin: de Gruyter 2020, 7–30
- Hans Blumenberg's Early Theory of Technology and History, in: Graduate Faculty Philosophy Journal 40.1 (2019), 3–15
- Anthropocene and Negative Anthropology, in: Public Seminar, 29.07.2019
- World-Estrangement as Negative Anthropology. Günther Anders’s Early Essays, in: Thesis Eleven 153.1 (2019), 141–153
- Hans Blumenberg's History of Possibilities, in: Blog of the Journal of the History of Ideas, 8.7.2019
- Judith N. Shklar über die Quellen liberaler Normativität, in: Karsten Fischer, Sebastian Huhnholz (Hg.): Liberalismus. Traditionsbestände und Gegenwartskontroversen. Baden-Baden: Nomos 2019, 71–97
- The Sources of Liberal Normativity, in: Samantha Ashenden, Andreas Hess (Hg.): Between Utopia and Realism. The Political Thought of Judith N. Shklar. Philadelphia: University of Pennsylvania Press 2019, 158–178
- Keine Quallen. Anthropozän und Negative Anthropologie, in: Merkur 5 (2019)
- In der Asche des Digitalen. Postdigitales Publizieren heute, in: Kunstforum International 5 (2019), 150–159
- Infrathin Platforms: Print on Demand as Auto-Factography, in: Kiene Brillenburg Wurth, Kári Driscoll, Jessica Pressman (Hg.): Book Presence in a Digital Age. New York: Bloomsbury 2018, 71–89
- Harmonie und Widerspruch: Mit Judith N. Shklar gegen die »Ideologie der Einigkeit«, in: Hendrikje Schauer, Marcel Lepper (Hg.): Distanzierung und Engagement. Wie politisch sind die Geisteswissenschaften? Stuttgart, Weimar: Works & Nights 2018, 75–83
- Ein Anfang mit der Sprache. Hans Blumenbergs erste philosophische Veröffentlichung, in: ZfL Blog, 13.8.2018
Veranstaltungen
Der Anthropos im Anthropozän. Die Wiederkehr des Menschen im Moment seiner vermeintlich endgültigen Verabschiedung
ZfL, Schützenstr. 18, 10117 Berlin, 3. Et., Trajekte-Tagungsraum
Hannes Bajohr: Grundverschieden. Hans Blumenbergs immanente und transzendente Theorien von Sprache, Ästhetik und Geschichte
Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Geschwister-Scholl-Straße 2, 55131 Mainz
Medienecho
Sammelrezension von Josef Barla, in: Soziologische Revue 46.1 (2023), 30–44