Susan Taubes-Edition
Seit 2003 werden die Hinterlassenschaften der Schriftstellerin und Philosophin Susan Taubes (geb. Feldmann, 1928–1969) am ZfL archiviert und erforscht. Ihr Leben und Schreiben sind Zeugnis einer für das 20. Jahrhundert außergewöhnlichen und zugleich paradigmatischen Erfahrungsgeschichte, in der jüdisches Exil und weibliche Intellektualität zusammentreffen. Die mehrbändige Edition der Schriften von Susan Taubes (hg. von Sigrid Weigel) mit größtenteils bislang unveröffentlichtem Material aus Taubes’ Nachlass ermöglicht die Entdeckung einer unabhängigen und bislang viel zu wenig bekannten Autorin. Ihr literarisches und kulturwissenschaftliches Werk reflektiert Erfahrungen des Transits, des Verlusts und der Ortlosigkeit und dokumentiert eine enthusiastische Teilhabe am intellektuellen Aufbruch der Nachkriegskultur in den USA, in Israel und im Europa der 1950er und 60er Jahre.
Neben wissenschaftlichen und literarischen Manuskripten enthält der Nachlass eine große Anzahl an privaten Aufzeichnungen, darunter Tagebücher und Korrespondenzen. Vor allem der Briefwechsel mit Jacob Taubes aus den frühen 1950er Jahren– der Zeit nach ihrer Heirat – zeugt eindrucksvoll von ihren Arbeitsbedingungen und dokumentiert die intellektuelle Entwicklung der jungen Philosophin und Schriftstellerin, denn in den Briefen überlagern sich private Auseinandersetzungen mit philosophischen Debatten, etwa über das Verhältnis von jüdischem Exil und deutscher Philosophie nach 1945. Zudem berichten sie von zahlreichen persönlichen Begegnungen und bieten Einblicke in die intellektuellen Szenen in New York, Paris und Jerusalem.
Die Teilbände 1,1 und 1,2 der Schriften von Susan Taubes (2011 und 2014, hg. von Christina Pareigis) enthalten insgesamt 269 Briefe, abgedruckt in ihren Originalsprachen Englisch, Deutsch und Hebräisch, versehen mit einem Sachkommentar. Der Edition dieser beiden Bände ging eine ausgiebige Phase der Sichtung, Sondierung und Anordnung des Materials voraus sowie umfangreiche Recherchen zu biographischen und arbeitsgeschichtlichen Kontexten in Archiven in den USA, Frankreich und Israel. Dazu kamen Interviews mit Zeitzeugen sowie eine intensive Zusammenarbeit mit Ethan Taubes in New York und Noémi Földes in Budapest.
Bd. 2 der Schriften von Susan Taubes (hg. von Thomas Macho und Johannes Steizinger) enthält Taubes’ bereits zu Lebzeiten veröffentlichte Essays über Heidegger, Camus, die Tragödientheorie und Simone Weil sowie die bislang unpublizierte Dissertation über die französische Philosophin (Harvard, 1956). Diese philosophischen Arbeiten waren zu Taubes’ Zeit singulär und sind für die jetzige Forschung hochaktuell; sie erscheinen 2024 erstmals kommentiert und in deutscher Übersetzung.
Bd. 3 der Schriften von Susan Taubes (hg. von Christina Pareigis) enthält eine Auswahl ihrer Erzählungen in deutscher Übersetzung und erschien 2015. Zu Lebzeiten hatte Susan Taubes neben ihrem Roman Divorcing (1969, dt. Scheiden tut weh 1995) lediglich zwei literarische Erzählungen veröffentlicht. Der Nachlass zeugt jedoch von einer viel umfangreicheren literarischen Produktivität, deren ästhetische Kontexte und selbstreflexive Experimente in der europäischen Nachkriegsavantgarde zu suchen sind und aktuell im Mittelpunkt literaturwissenschaftlichen Interesses stehen. Taubes’ hochkomplexe Kompositionen aus verschiedenen Schauplätzen und Sprachregistern sind zugleich Inszenierungen von Lebensgeschichte und Identität, die nicht in Eindeutigkeit und Kontinuität gründen, sondern im Ungewissen und Gebrochenen. Taubes’ Roman Divorcing erschien 2022 in einer neuen Übersetzung und mit einem Vorwort von Sigrid Weigel unter dem Titel Nach Amerika und zurück im Sarg im Verlag Matthes & Seitz Berlin.
Die Etablierung des Nachlasses wurde gefördert von der Stiftung Preußische Seehandlung.
Durch die vielfältige Publikations- und Vortragstätigkeiten der Mitarbeiter (z.B. Telos Conference Rituals of Exchange and States of Exception. Continuity and Crisis in Politics and Economics, New York, 15.–16.1.2011; Susan Taubes-Panel auf der Annual Conference der Association for Jewish Studies, Washington DC, 20.12.2011) kam es zu Kooperationen insbesondere mit Wissenschaftlern aus den USA.
Publikationen
Susan Taubes
Prosaschriften
Susan Taubes
Die Korrespondenz mit Jacob Taubes 1952
Susan Taubes
Die Korrespondenz mit Jacob Taubes 1950–1951
- Susan Taubes. Philosophische Schriften, aus dem Amerikanischen von Rüdiger Hentschel und Konrad Honsel, hg. von Thomas Macho und Johannes Steizinger (= Schriften von Susan Taubes, Bd. 2). München, Paderborn: Fink (erscheint 2024)
Christina Pareigis
- The Connecting Paths of Nomads, Wanderers, Exiles. Stationen einer Korrespondenz, Nachwort von Bd. 1.1 der Schriften von Susan Taubes, 259–288
- Susan Taubes. Bilder aus dem Archiv, in: Trajekte 20 (April 2010), 22–29
- Searching for the Absent God. Susan Taubes’s Negative Theology, in: Telos 150 (2010), 97–110
- Letter from Susan Taubes to Jacob Taubes, April 4, 1952, in: Telos 150 (2010), 111–114
- When an Exile Celebrates her Fate. Zum 40. Todestag von Susan Taubes, in: Dan Diner (Hg.): Jahrbuch des Simon-Dubnow-Instituts, Bd. 8, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2009, 397–417
- Creation is always violent, in: Trajekte 15 (Okt. 2007), 6–15
Sigrid Weigel
- Between the Philosophy of Religion and Cultural History: Susan Taubes on the Birth of Tragedy and the »Negative Theology« of Modernity, in: Telos 150 (Spring 2010), 115–135
- Hinterlassenschaften, Archiv, Biographie. Am Beispiel von Susan Taubes, in: Bernhard Fetz, Hannes Schweiger (Hg.): Spiegel und Maske. Konstruktionen biographischer Wahrheit. Wien: Zsolnay 2006, 33–48
- Die Religionsphilosophin Susan Taubes. »Negative Theologie« und Kulturtheorie der Moderne, in: Bernhard Greiner, Christoph Schmidt (Hg.): Arche Noah. Die Idee der ›Kultur‹ im deutsch–jüdischen Diskurs, Freiburg i.Br. 2002, 383–401; rev. Fassung in: Sigrid Weigel: Literatur als Voraussetzung der Kulturgeschichte. Schauplätze von Shakespeare bis Benjamin. München: Wilhelm Fink 2004, 127–145
- Susan Taubes und Hannah Arendt. Zwei jüdische Intellektuelle zwischen Literatur und Philosophie, zwischen Europa und USA, in: Ariane Huml, Monika Rappenecker (Hg.): Jüdische Intellektuelle im 20. Jahrhundert. Literatur- und kulturgeschichtliche Studien. Würzburg: Königshausen & Neumann 2003, 133–149
Veranstaltungen
Christina Pareigis, Sigrid Weigel: Überall im Exil: Susan Taubes
silent green Kulturquartier, Gerichtstraße 35, 13347 Berlin
Sigrid Weigel: Discovering a Fascinating Author. Introduction into the Life and Work of Susan Taubes
Villa Aurora, 520 Paseo Miramar, Los Angeles, CA 90272
Jacob and Susan Taubes and Their Circles
UCLA, 314 Royce Hall, CA 90095-1485 Los Angeles
Christina Pareigis: Raging, Devouring Monster of Time. Zu einer Sprache des Traumas in den Schriften von Susan Taubes
Warburg-Haus Hamburg, Heilwigstr. 116, 20249 Hamburg
Taubes und Taubes
Humboldt Carré, Historische Kassenhalle, Behrenstraße 42, 10117 Berlin
Christina Pareigis: Haunted by the Ghosts of Judaism. Susan Taubes’s Relation to Tradition as Reflected in her Writings of the 1950s
Grand Hyatt, 1000 H Street NW, Washington, D.C. 20001
Christina Pareigis: Wer ist Susan Taubes?
Nedderfeld 2, 22529 Hamburg-Halstenbek
Jacob Taubes – sein Vermächtnis in Briefen
Messegelände, Ludwig-Erhard-Anlage 1, 60327 Frankfurt a.M., 3.1 F 161
Christina Pareigis: What a Human Being Should Do Who Discovers the German Geist in 1951. Susan Taubes’s Response to the Crisis of Modernity
New York
Archiv und Eros. Zum 80. Geburtstag der Religionsphilosophin und Schriftstellerin Susan Taubes
ZfL, Schützenstr. 18, 10117 Berlin, 3. Et., Trajekte-Tagungsraum 308
Christina Pareigis: Hinterlassenschaft, Archiv und Biographie. Diskutiert am Beispiel der Arbeit an einer Biographie von Susan Taubes
Österreichische Gesell. für Literatur, Herrengasse 5, 1010 Wien
Medienecho
Rezension von Manuela Reichart, in: RBB, Sendung: Der Morgen, 24.1.2022
Susan Taubes schrieb einen Roman über eine Intellektuelle, deren Erfahrungen in einer patriarchalen Welt entwertet werden. Nun erscheint er neu. Rezension von Oliver Pfohlmann, in: taz, 9.1.2022
Susan Taubes lädt in ihrem Roman »Nach Amerika und zurück im Sarg« zu einem aberwitzigen literarischen Trip ein. Rezension von Christiane Meixner, in: Tagesspiegel, 4.1.2022
Die Philosophin und Schriftstellerin Susan Taubes führte ein rastloses Leben zwischen New York, Paris und Jerusalem, zwischen einem zunehmend unglücklichen Eheleben und ihrer Existenz als Intellektuelle und Autorin. Ihr letzter Roman zeugt von diesem Kampf – und ist doch viel mehr als ein autobiografischer Text. Radiobeitrag von Angela Gutzeit, in: Deutschlandfunk, Sendung Büchermarkt, 28.10.2021
Rezension von Jan Kuhlbrodt, in: www.fixpoetry.com vom 03.03.2016
Rezension von Axel Klappoth, in: www.literarisches-berlin.de vom 20.01.2016
Rezension von Helen Thein-Peitsch, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte (ZRGG) 66 (2014), Ausgabe 2, 205–207 (kostenpflichtig)
Rezension von Rabbi Tamara Cohn Eskenazi, in: Jewish Journal 17.03.2014
Rezension von Yitzhak Ahren, in: Freiburger Rundbrief. Zeitschrift für christlich-jüdische Begegnung 3 (2013), 227–229
Rezension, in: Information Philosophie 5 (2012)
Gnostische Selbstzweifel und messianische Vielweiberei: Das Berliner Zentrum für Literatur und Kulturforschung erkundet die Biografien von Jacob Taubes und seiner ersten Frau Susan Taubes. Artikel von Gregor Dotzauer, in: Tagesspiegel vom 27.01.2012
Susan Taubes ist vergessen. Nun ist ihr Nachlass nach Berlin gelangt und wird Schritt für Schritt veröffentlicht. Er offenbart eine Schriftstellerin von Rang. Artikel von Jacques Schuster, in: Die Welt vom 26.6.2010
Zum 40. Todestag der Religionsphilosophin und Schriftstellerin Susan Taubes. Artikel von Lena Zade, in: Jüdische Zeitung vom November 2009
Artikel von Alexander Cammann, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 16.1.2008