Nahes Foto einer Polizeidrohne, die mit einer angehängten Kamera im Himmel fliegt.

Sicherheit und Zukunft. Kulturwissenschaftliche Perspektiven auf Security Studies

Sicherheit ist als strategisches, planerisches Konzept wesentlich prospektiv, und zwar auf doppelte Weise: Einerseits benennt der Ausdruck ›Sicherheit‹ eine für die Zukunft herzustellende oder in die Zukunft hinein zu erhaltende Situation des eingegrenzten Risikos; zum anderen impliziert er ein gesichertes oder zumindest zu sicherndes Zukunftswissen, eine Art von Gewissheit über die Zukunft. Das Projekt erforschte die spezifischen Zukunftsbezüge, aus denen Konzepte und Praktiken von Sicherheit erwachsen. Es zielte auf die Erhellung der epistemischen und kulturellen Voraussetzungen aktueller Sicherheitsdoktrinen in ihrer enormen gesellschaftlichen Wirkung. Dabei gilt es, unterschiedliche Erscheinungsweisen des Zukunftswissens und Zukunftshandelns zu differenzieren: Denkformen wie Utopie und Dystopie, Fortschritts- und Krisennarrative, Prognose- und Szenariotechniken, ethische Diskurse über Nachhaltigkeit, staatliche und private Institutionen der (Ver-)Sicherung, Praktiken der Vorbeugung und Vorsorge. Auf der Basis solcher Untersuchungen konnte im Detail gezeigt werden, wie der Ausdruck ›Sicherheit‹ heute – gerade in politischen Debatten und im öffentlichen Diskurs – längst nicht mehr nur spezifische Maßnahmen zur Abwehr einer konkreten Gefahr beschreibt, sondern zu einer Metapher für eine den Alltag wie den Staat organisierende Politik geworden ist.
Einzelne Untersuchungsanordnungen widmeten sich der Frage, welche Arten von Zukunftswissen in derzeit virulenten Sicherheitskonzepten und -praktiken wirksam sind: (I) in der wissenschaftlich-strategischen Politikberatung, (II) in der politischen Ökologie und (III) in der fiktionalen (literarischen und filmischen) Problematisierung aktueller Sicherheitsdebatten.

Das Projekt stellte die Fortführung einer Forschungslinie des ZfL dar, die 2010–2013 mit dem Projekt Prognostik und Literatur begann.

 

Abb. oben: Polizei-Drohne »Sensocopter« im Einsatz während des 13.2.2011 in Dresden, Quelle: von Paulae auf Wikimedia

gefördert durch die Gerda Henkel Stiftung, Sonderprogramm: Sicherheit, Gesellschaft und Staat 2014–2017
Leitung: Benjamin Bühler, Stefan Willer

Teilprojekte

Kriegsspiele. Zur Wissens- und Mediengeschichte militärischer Sicherheitsfiktionen seit 1945

2014–2016
Bearbeitung: Sandra Pravica

Im militärischen Kontext wird mit Vorwegnahmen zukünftigen Geschehens beispielsweise versucht, Folgen von Interventionen abzuschätzen, das Verhalten eines Gegners oder Feindes zu kalkulieren, potenzielle Krisenherde aufzuspüren oder drohende Gefahren, etwa Terroranschläge, abzuwenden. Das Teilprojekt untersuchte die im Rahmen von Militärstrategie und Politikberatung eingesetzten quantitativen Voraussageverfahren hinsichtlich ihrer Implikationen für Begriffe wie Sicherheit, Ungewissheit oder Nicht-Wissen, sowie der mit ihnen etablierten Zeitbezüge. Die Studie wurde zum einen an den Arbeiten des US-Amerikaners Herman Kahn durchgeführt, der zur Zeit des Kalten Krieges die politische Handlungsfähigkeit im Angesicht des drohenden Atomkrieges durch detailliert berechnete Zukunftsszenarien zu gewährleisten suchte. Zum anderen widmete sich das Teilprojekt dem aktuellen Wandel, der sich mit der Zugrundelegung großer Datensammlungen (sog. Big Data) im Bereich der digitalen Prognose vollzieht, und ging dem Einsatz der neuen Voraussagepraktiken im Rahmen von Sicherheitskonzepten und -programmen nach.

Katastrophenszenarien. Zur politischen Ökologie seit 1970

2014–2017
Bearbeitung: Benjamin Bühler

Im Diskurs der politischen Ökologie, der seit den 1970er Jahren zu einem festen Bestandteil gesellschaftlicher Selbstbeschreibungen geworden ist, dienen Zukunftsbezüge immer auch der Legitimation und Organisation von politischen Handlungen in der Gegenwart. Entwürfe zukünftiger ökologischer Katastrophen begründen gegenwärtige Sicherheitsstrategien, die das Eintreten einer solchen unerwünschten Zukunft verhindern sollen. Untersuchungsgegenstand des Teilprojekts waren erstens Katastrophenszenarien in den 1970er Jahren und deren Verhältnis zur Entstehung der Umweltbewegung. Untersucht wurden hierfür politische Essays, die Diskussionen um Denis Meadows Studie Limits to Growth, außerdem Manifeste und Romane. Zweitens widmete sich das Teilprojekt der gegenwärtigen Debatte um den Klimawandel und die Sicherheitsstrategien, die bei extremen Folgen des Klimawandels notwendig werden könnten. Diese Debatte wurde mit Blick auf aktuelle Auseinandersetzungen mit dem Klimawandel erörtert, in denen sich wissenschaftliche und fiktionale Darstellungs- und Argumentationsweisen auf eine bislang kaum untersuchte Weise überschneiden.

Präventionsfantasien. Zur Repräsentation von Sicherheitsdoktrinen in zeitgenössischer Literatur und Film

Dissertationsprojekt 2014–2017
Bearbeitung: Johannes Becker

In der Figur der Prävention kommen Sicherheits- und Zukunftsdenken auf paradoxe Weise zusammen: Künftiges Unheil (ob Krankheiten, Terroranschläge oder Atomunfälle) soll vorhergesehen werden, um es dann zu verhindern. Gerade in akuten Krisensituationen gewinnt die Forderung nach einer präventiven Sicherheitspolitik an Vehemenz und wird gleichzeitig zum Vorwand für weit reichende Normierungs- und Kontrollbestrebungen. In dem Teilprojekt ging es um die Art und Weise, wie im Medium der Fiktion soziale Kommunikation über kommendes Unheil – sowie die Möglichkeit und Unmöglichkeit diesem vorzubeugen – zur Darstellung kommt und kommen kann. Gegenstand waren Romane und Filme, die gegenwärtige Sicherheits- und Präventionsdiskurse fiktional verarbeiten und in diese intervenieren. Untersucht wurden außerdem auf einer theoretischen Ebene die Bedingungen und Einschränkungen eines direkt thematischen oder mimetischen Zugriffs auf solche Diskurse in der Fiktion sowie daraus sich ergebende Perspektiven zur Transformation des gesellschaftlichen Selbstverständnisses von Sicherheit und Zukunft.

Publikationen

Johannes Becker, Benjamin Bühler, Sandra Pravica, Stefan Willer (Hg.)

Zukunftssicherung
Kulturwissenschaftliche Perspektiven

Edition Kulturwissenschaft Bd. 126
transcript Verlag, Bielefeld 2019, 248 Seiten
ISBN 978-3-8394-3741-4

Wichtige Ergebnisse wurden im Vorgängerprojekt Prognostik und Literatur (2010–2013) erarbeitet.

Benjamin Bühler

  • Zukunftsbezug und soziale Ordnung im Diskurs der politischen Ökologie, in: Zeitschrift für Kulturwissenschaften 2 (2009), 35–44
  • Repräsentationen der Ökologie, in: ecozone@ 1 (2010)
  • Entgleitende Regulierungen. Politische Ökologie im 20. Jahrhundert, in: Stefan Rieger, Manfred Schneider (Hg.): Selbstläufer / Leerläufer. Regelungen und ihr Imaginäres im 20. Jahrhundert. Berlin/Zürich: Diaphanes 2012, 177–197
  • Von »Hypothesen, die auf einer Hypothese gründen«. Ökologische Prognostik in den 1970er Jahren, in: Daniel Weidner, Stefan Willer (Hg.): Prophetie und Prognostik. Verfügungen über Zukunft in Wissenschaften, Religionen und Künsten. München: Fink 2013, 59–80


Sandra Pravica


Stefan Willer

Veranstaltungen

Podiumsdiskussion
10.09.2017 · 16.00 Uhr

Stefan Willer: Leben mit Unsicherheit

Haus der Berliner Festspiele, Schaperstrasse 24, 10719 Berlin, Oberes Foyer

Details
Vortrag
26.04.2017 – 28.04.2017 · 10.00 Uhr

Stefan Willer: Visualizing Future Knowledge

Centre Universitaire de Norvège à Paris, 190 Avenue de France, 75013 Paris (FR)

Details
Vortrag im SFB »Episteme in Bewegung« der FU Berlin
21.04.2017 · 10.00 Uhr

Stefan Willer: »Es muss eine Zeit kommen« – Zum Wandel des Zukunftswissens im 18. Jahrhundert

FU Berlin, SFB »Episteme in Bewegung«, Schwendener Str. 8, 14195 Berlin, Versammlungsraum

Details
Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung »Berliner Kulturwissenschaft«
11.01.2017 · 18.00 Uhr

Stefan Willer (ZfL/HU Berlin): Was ist Zukunftswissen?

Humboldt-Universität Berlin, Institut für Kulturwissenschaft, Dorotheenstr. 26, 10117 Berlin, Raum 208

Details
Tagung
25.02.2016 – 26.02.2016

Zukunftssicherung. Konzepte – Praktiken – Imaginationen

ZfL, Schützenstr. 18, 10117 Berlin, Trajekte-Tagungsraum 308

Details
Veranstaltung von Benjamin Bühler u. Stefan Willer i. R. des Salons Sophie Charlotte der BBAW
23.01.2016 · 18.00 Uhr

Bestmögliche Weltuntergänge. Literatur und Apokalypse

Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Markgrafenstraße 38 (am Gendarmenmarkt), 10117 Berlin

Details
Vortrag
12.06.2015 · 16.30 Uhr

Benjamin Bühler: Schwärme und Drohnen, Erzählen und Messen. Stanisław Lems Roman »Der Unbesiegbare«

Bischofsvilla, Otto-Adam-Str. 5, 78457 Konstanz 

Details
Tagung
11.06.2015 – 12.06.2015

Begriffsgeschichte und Zukunftswissen

ZfL, Schützenstr. 18, 10117 Berlin, 3. Et., Seminarraum 303

Details
Vortrag
17.05.2015 · 16.15 Uhr

Benjamin Bühler: Sicherung der Menschheit. Recycling als Zukunftstechnik

Theodor-Heuss-Akademie, Theodor-Heuss-Str.26, 51645 Gummersbach

Details
Geisteswissenschaftliches Kolleg der Studienstiftung des deutschen Volkes
22.03.2015 – 27.03.2015

Geschichte(n) der Zukunft IV. Ungewissheit und Prävention

Bischof-Benno-Haus, Katholische Bildungsstätte und Tagungshaus des Bistums Dresden Meißen, Schmochtitz Nr. 1, 02625 Bautzen

Details
Workshop
13.02.2015 – 14.02.2015

Sicherheit und Zukunft

ZfL, Schützenstr. 18, 10117 Berlin, 3. Et., Seminarraum 303

Details
Geisteswissenschaftliches Kolleg der Studienstiftung des deutschen Volkes
28.09.2014 – 03.10.2014

Geschichte(n) der Zukunft III. Fortschritt und Apokalypse

Bildungshaus Kloster Schöntal, Klosterhof 6, 74214 Schöntal

Details
Video screening in the presence of the director with discussion
03.09.2014 · 16.00 Uhr

Field Visits for Chelsea Manning. A film-travelogue by Lance Wakeling

ZfL, Schützenstr. 18, 10117 Berlin, 3. Et., Trajekte-Tagungsraum

Details
Vortrag
09.06.2014 · 17.00 Uhr

Benjamin Bühler: Prognostik in Zukunftsromanen der Moderne

Zentrum für Jüdische Studien der Universität Basel, Leimenstr. 48, 4051 Basel

Details

Medienecho

18.06.2015
Zukunftskonzepte. Das Fehlen der großen Entwürfe

Radiobeitrag von Bettina Mittelstraß mit Beiträgen von u.a. Falko Schmieder und Stefan Willer, in: Deutschlandfunk, Sendung: Studiozeit – Aus Kultur- und Sozialwissenschaften vom 18.06.2015

16.05.2015
Überwachungs-Narrative, Instant-Articles und Untersuchungsauschuss-Leaks

Interview mit Stefan Willer, in: Deutschlandradio Kultur, Sendung: Breitband. Magazin für Medien und digitale Kultur vom 16.05.2015, 13.05 Uhr

15.04.2015
»Vor-Sicht! Vor-Sorge!« – Über das Wissen, Gestalten und Verhindern von Zukünften

Radiosendung u.a. mit Stefan Willer und Martin Treml (beide ZfL), in: Die KulturWelle vom 15.04.2015

Beiträge

2.9.2018 Audio
»Was ist Zukunftswissen?«
Vortrag von Stefan Willer im Rahmen der Ringvorlesung Berliner Kulturwissenschaft des Instituts für Kulturwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin am 11.1.2017, gesendet in der Sendung »Hörsaal« auf Deutschlandfunk Nova
© Deutschlandfunk Nova