Erforschung des persönlichen Archivs der Germanistin, Publizistin und Kulturhistorikerin Hildegard Brenner
Das Projekt widmet sich der Erforschung des Vorlasses der Germanistin Hildegard Brenner (*1927), die mit ihren publizistischen Aktivitäten die literatur- und kulturtheoretischen Debatten der 1960er und 1970er Jahre entscheidend mitprägte. Brenner, die zunächst als Sachbuchautorin und Journalistin, später auch als Professorin für Literaturwissenschaft an der Universität Bremen tätig war, gab von 1964 bis 1982 die Zeitschrift alternative heraus, die mit Beiträgen zur materialistischen Ästhetik und zum französischem Strukturalismus, aber auch zur Literatur der DDR, des Exils und der Arbeiterbewegung bekannt wurde.
Neben eigenen theoretischen und historischen Arbeiten zu Hölderlin, Benjamin, Brecht und zur Kunstpolitik des Nationalsozialismus verantwortete Brenner die Buchreihe collection alternative im Luchterhand-Verlag und gab die einzige deutschsprachige Publikation von Texten der lettischen Theaterschauspielerin und Regisseurin Asja Lācis (1891–1979) heraus, mit der sie in regem Kontakt stand. Anhand des Vorlasses können die weitreichenden Netzwerke rekonstruiert werden, aus denen Brenner schöpfte: Korrespondenzen mit Étienne Balibar, Roland Barthes, Wolf Biermann, Volker Braun, Lucien Goldmann, Julia Kristeva, Claude Lévi-Strauss, Pierre Macherey, Heiner Müller oder Helene Weigel finden sich darin ebenso wie Briefwechsel mit zahlreichen Verlagen, Zeitschriften und nicht zuletzt Rundfunkanstalten, für die Brenner Radiosendungen mit geisteswissenschaftlichen Inhalten produzierte.
Die Vielfalt der Veröffentlichungskontexte erlaubt es, die Frage nach der Bedeutung nichtkanonisierter Schreib- und Publikationsweisen in der Theoriegeschichte zu stellen und so einem Forschungsdesiderat zu begegnen. Journalistische und publizistische Arbeit vermittelt zwischen akademischen, massenmedialen und politischen Kontexten, entgeht aber häufig der Aufmerksamkeit intellektueller Historiographien. Darüber hinaus bieten sowohl Brenners Werdegang als auch die Gegenstände ihrer Tätigkeiten Anlass, nach der Geschichte und historiographischen Repräsentation weiblicher Intellektueller im 20. Jahrhundert zu fragen.
Der 2019 dem ZfL übergebene persönliche Vorlass Brenners ergänzt das Redaktionsarchiv der alternative am Deutschen Literaturarchiv in Marbach. Ziel des Projekts ist die Erarbeitung einer multiperspektivischen intellektuellen Biographie, die wissenschaftliche, publizistische und journalistische Praktiken als Dreh- und Angelpunkte für theorie-, medien- und geschlechtergeschichtliche Problemstellungen begreift.
Abb. oben: © Moritz Neuffer
2021–2023 gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
Laufzeit: seit 2021
Leitung: Moritz Neuffer
siehe auch
- Die journalistische Form der Theorie. Die Zeitschrift »alternative« (1958–1982)
(Moritz Neuffer, Dissertationsprojekt 2017–2019) - Stefanie Retzlaff/Christian Wimplinger: Die Theoriearbeit der Zeitschrift alternative. Ein Interview mit Moritz Neuffer, in: Undercurrents. Forum für linke Literaturwissenschaft 17 (2022), 20–29
Publikationen
Moritz Neuffer
- Im Nebeneinander der Aufarbeitung. Hildegard Brenner und die Kunstpolitik des Nationalsozialismus, in: Maria Neumann, Felix Vogel (Hg.): Bruch und Kontinuität. Kunst- und Kulturpolitik nach dem Nationalsozialismus. Berlin: Hatje Cantz 2024, 54–61
- Politischer Stil. Hildegard Brenner, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 140 (2021), Sonderheft: Der Stil der Literaturwissenschaft, hg. von Eva Geulen und Claude Haas, 207–221
- Prekäre Theorie, oder: Wer ist Hildegard Brenner?, in: ZfL Blog, 14.1.2021
Veranstaltungen
Moritz Neuffer: Faschismus ohne Theorie? Zur dokumentarischen Aufarbeitung des Nationalsozialismus in der frühen Bundesrepublik
Kulturwissenschaftliches Institut Essen
Moritz Neuffer: »Die Wahrheit spricht für sich – […] Uns scheint dieser Satz zu schön um wahr zu sein«. Dokumentarische Positionen in Kulturzeitschriften, 1945–1968
Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung, Ilse-Zimmermann-Saal, Pariser Str. 1, 10719 Berlin
Moritz Neuffer: Periodical Studies as Intellectual History: The Case of 1968
Centre d'études allemandes et européennes, Université de Montréal
Moritz Neuffer: ›Berufsmäßige Grenzgängerin‹. Hildegard Brenners Arbeiten zur Kunstpolitik des NS, der DDR und der BRD
documenta Institut Kassel, Wachsendes Haus am Lutherplatz, 34117 Kassel
Moritz Neuffer: »nicht abgeschlossen«. Hildegard Brenners und Helga Gallas’ Editorials für die Zeitschrift alternative und die Buchreihe collection alternative
Freie Universität Berlin, Habelschwerdter Allee 45, Raum JK 31/121, 14195 Berlin
Moritz Neuffer: Revolutionärinnen im Beruf. Asja Lācis und Hildegard Brenner
Literaturforum im Brecht-Haus, Chausseestraße 125, 10115 Berlin
Moritz Neuffer: ›Memory Still Haunts History’s Sleep‹. Poetics and Politics of Remembering ›1956‹ and ›1968‹
Universiteit Utrecht
Moritz Neuffer: The Movement and the Model. Forms of Compression in Theory Journals
Humboldt-Universität zu Berlin, Unter den Linden 6, 10117 Berlin, Raum 2249a
Wandlungszonen: Zeitschriften und Öffentlichkeit 1945 bis 1969
Deutsches Literaturarchiv Marbach, Schillerhöhe 8–10, 71672 Marbach am Neckar, Tagungsraum 2-3
Moritz Neuffer: From Chronopoetics to Anachronisms: Economies of Timeliness in Modern Intellectual Journals
online via Zoom