Szenen alternativer Sozialität in der ›Black Radical Tradition‹ und kritischen Theorien

Wenn Saidiya Hartman Sklaventänze beschreibt, Paul Gilroy Dub-Sessions und Fred Moten Jazz-Improvisationen, betonen die Autor*innen stets, dass es sich hierbei um gemeinsame Vollzüge handelt. Sie lassen die fragilen Momente relativer Selbstbestimmung aus einem sozialen Leben Schwarzer Menschen hervorgehen. Dieser emphatische Bezug auf das Black social life (und die Kritik am darin enthaltenen Optimismus) bilden das Hauptinteresse dieses Dissertationsvorhabens. Dabei wird die Frage verhandelt, wie alternative Sozialität in rassistischen Gesellschaften theoretisiert werden kann: Wie können die fragilen, begrenzten Möglichkeiten von Sozialität genauso in den Vordergrund gerückt werden wie die Gewalt und das Leiden? Welche Theorie ist dieser Herausforderung angemessen?

Seit es kritische Gesellschaftstheorien aus Schwarzer Perspektive gibt, steht zur Debatte (und ist heiß umkämpft), inwiefern die Begriffszusammenhänge westlicher kritischer Theorien das Leben der Versklavten und in die Diaspora Migrierten erfassen können. Das Projekt untersucht vor diesem Hintergrund, wie sich die Beschreibungsweisen Schwarzer Sozialität in der jüngeren Black Radical Tradition zu jenen westlichen, kritischen Theorien verhalten, die in den Leben der (meist weißen) Marginalisierten nach emanzipatorischen Potenzialen gesucht haben. Walter Benjamin, Raymond Williams, Judith Butler und andere haben Begriffe wie ›Erinnerungsspur‹, structure of feeling oder ›Performativität‹ entwickelt, um den bürgerlichen Subjektivierungsweisen alternative Formen von Sozialität entgegenzustellen. Hartman, Gilroy und Moten beziehen sich an zentralen Stellen ihrer Beschreibungen Schwarzer Sozialität darauf, aber deuten diese Begriffe um, um die Sozialität von Sklav*innen, Kolonisierten und ihren Nachfahren zu beschreiben. Anhand dieser »Umwendungen« (Sonderegger) von Theorie und den zu beobachtenden intellektuellen Allianzen sollen sowohl Kontinuitäten als auch Bruchlinien theoretischen Denkens rekonstruiert werden. Das Projekt fragt also nach der Spezifik des Theorieparadigmas alternativer Sozialität im Kontext von Überlegungen zu race/blackness.

Dabei soll einerseits durch das Nachzeichnen von Theoriekonstellationen gezeigt werden, wie innerhalb der Black Radical Tradition Schwarze Sozialitäten unterschiedlich theoretisiert werden, und welche Einflüsse etwa aus der Literatur einwirken (z.B. von Toni Morrison und Ralph Ellison). Andererseits sollen neben Ähnlichkeiten und Differenzen in der Theorieentwicklung die Begrenzungen des westlichen Kanons (von Benjamin über Butler und Habermas zu Williams) sichtbar gemacht werden, wenn Fragen von race/blackness verhandelt werden.

 

Abb. oben: Körper in Bewegung bei einem Tanzworkshop in Frankfurt am Main, © Christin Picard

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Noah Grossmann